Nackt für eine bessere Gesellschaft

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Patrick Seabird

Erklärungsversuch von David Tynnauers Modell "Nackt für eine bessere Gesellschaft"

„Kamera läuft!“, hallt es plötzlich durch einen Hörsaal der Universität Wien am Campus des Alten AKH. Nur wenige der anwesenden Studenten und Zuhörer scheinen zu ahnen, worum es sich bei diesem Zwischenruf handelt. Immerhin befindet man sich in einer Vorlesung von Konrad Paul Liessmann, seines Zeichen Philosophieprofessor und österreichischer Wissenschaftler des Jahres 2006.

Der Protagonist und Initiator der nun folgenden und keineswegs mit Hrn. Liessmann abgesprochenen Vorstellung betritt die Bühne, zumindest äußerlich wirkt er ruhig, bestimmt und stapft langsam die Stiegen Richtung Rednerpult herab. Es ist David Tynnauer. Jener David Tynnauer, welcher wenige Monate zuvor seine Diplomarbeit bei Hrn. Liessmann abgeschlossen hatte und diesen nun davon in Kenntnis setzt, dass er ihm seine Vorlesung für einige Minuten „entreißen“ werde. David wartet keine Antwort des offensichtlich verdutzten und perplexen Professors ab, klettert sogleich auf das Rednerpult und stellt sich offenherzig und mit weggestreckten Armen hin. Khaled, ein guter Freund Davids, filmt das ganze Geschehen mit, man möchte es keineswegs der Öffentlichkeit vorenthalten. Liessmann ist das Opfer einer Piraterie, auf Festland wohlgemerkt, welche auf gleichsam unblutige Art und Weise vollzogen wird, das Rednerpult entspricht in unserem Falle dem gekaperten Schiff. Ob er nun will oder nicht, muss er diese friedliche Übernahme zur Kenntnis nehmen und setzt sich sogleich in die erste Reihe des Hörsaals neben seine Assistentin. Er wirkt überlegt und betrachtet die Szene wie ein jagendes Tier, das nur darauf wartet seinem Opfer im geeigneten Moment den Todesstoß versetzen zu können, in verbaler Form versteht sich, wie es sich für einen eloquenten Professor eben gehört. Wie auch die Vorlesung sich mit dem Thema Kunst befassen soll, beginnt David nun mit seiner Ansprache: “Was ist Kunst?“, schallt es in den Raum. Und erneut:“ Was ist Kunst?“ Auch eine Antwort hat er zugleich parat, mit lauter, überzeugter Stimme ruft er in den Raum hinein: “Kunst ist in erster Linie die Selbstentblößung des Künstlers!“ David möchte heute Auszüge seiner Kunsttheorie präsentieren, dass es dafür keiner Einladung bedarf, beweist er uns an diesem Tage. Frech und provokant könnte man es nennen, mutig und kühn, manch ein anderer würde ihn vielleicht sogar einer großen Dummheit bezichtigen, denn er stört bekanntlich mutmaßlich eine Universitätsvorlesung.

Die ersten Reaktionen zu Davids Auftritt lassen nicht lange auf sich warten. Staunende, überraschte, neugierige und zum Teil entsetzte Gesichter tauschen sich unter den Anwesenden ab, es wird eifrig getuschelt und der ein oder andere kann ein verschmitztes Lächeln nicht verbergen. Seine Rede dauert keine Ewigkeit. Ziemlich genau 4 Minuten beansprucht er für sich, um der versammelten Menge sein Gedankengut zu offenbaren. Die Anwesenden wurden dabei zum Nachdenken angeregt, soviel ist sicher, ob seine Botschaft auch angekommen ist, eine schwer zu beantwortende Frage. Am Ende seiner Ausführungen steht er schließlich da, und zwar vollkommen nackt. Selbstentblößung ohne Exhibitionismus wäre ja wie das fehlende Salz in der Suppe, könnte man meinen. Die Erleichterung, die er durch diese vollbrachte Aktion für sich erringen konnte, schreit er abschließend in die weite Welt oder zumindest in den gut besetzten Hörsaal hinaus. Applaudiert wird anschließend recht brav. Auch vereinzelte, enthusiastisch anmutende Jubelschreie hört man von den Rängen ertönen, andere wiederum streifen ihn gar nur mit einem skeptischen Blick. Aber auch Kritik müsse man einstecken können, merkt David später einmal an. Nur einen scheint sein Auftritt ganz und gar nicht berührt zu haben, nämlich Konrad Liessmann. Dieser stellt sich, noch während David mit dem Ankleiden beschäftigt ist, zurück ans Rednerpult und straft seinen ehemaligen Studenten im Zuge eines kurzen Gesprächs mit süffisanten Bemerkungen en masse. Fast hat es den Anschein, als sei er etwas beleidigt, dass man gerade in einer seiner Vorlesungen solch eine unruhestiftende Performance ablegt. Diese Vermutung sollte sich einige Tage später durch einen Schriftverkehr mit Lissmann erhärten. In einer ersten Stellungnahme geht David anschließend überaus selbstkritisch mit sich ins Gericht. Er sei nicht zufrieden mit der Art und Weise wie er sich präsentiert habe, seine Rede klang überaus politisch und dies sei nicht seine Intention gewesen. Emotionen, seine höchstpersönlichen, wollte er zum Ausdruck bringen, doch dies sei ihm nicht gut gelungen. Nichtsdestotrotz überwiege die Freude, diesen Schritt gewagt zu haben. Der Schritt, welcher es ihm ermöglichte, seine eigenen Schwächen offen darzulegen. Die Aktion verfehlte ihren Zweck jedenfalls keineswegs. In kleineren Kreisen sprach man über seinen Auftritt, wenn auch überwiegend auf universitärer Ebene. Befürworter und Gegner meldeten sich gleichermaßen zu Wort - sogar im eigenen Freundeskreis. Seine kritische Präsentation richtet sich aufgrund der Tatsache, dass er in einer Vorlesung spricht, überwiegend an das universitäre System im eigenen Lande. David versucht in dieser die Rolle eines Provokateurs einzunehmen, welcher Problembilder aufzeigt und als Konsequenz daraus, mehr Mut zur Eigeninitiative fordert. Man dürfe sich laut ihm nicht alles gefallen lassen und jeder von uns solle sich zur Verbesserung der Bildungspolitik, im Sinne der Allgemeinheit bekennen und seinen eigenen Beitrag dazu leisten. Zivilcouragiertes Auftreten sei gefragt und er bemängelt in diesem Zusammenhang die fehlende Verantwortungshaltung der westlichen Gesellschaft, denn man habe offensichtlich ein Problem damit, aus sich „rauszugehen“. In einem weiteren Gespräch abseits des Vortrags, geht David dezidiert auf diese Problembilder ein. Er benennt unter anderem den nationalchauvinistisch denkenden Ur-Wiener, welcher in der Öffentlichkeit aus Lust und Frust und Laune auf andere ethnische Gruppen schimpft, aus absoluter Überzeugung versteht sich, basierend auf einer eigens für sich selbst zurechtgelegten Grundsatzhaltung. Einen spontanen Konter traut sich hier bedauerlicherweise nur selten jemand zu, man schämt sich lieber für seine eigenen Landsleute und akzeptiert den mühseligen Unruheherd so wie er sich eben gibt. Dies sei jedoch nur als kleines Beispiel erwähnt. David hat jedenfalls seine eigenen Vorstellungen davon, wie man in unserer Welt etwas friedlicher miteinander auskommen könne. Er bezweckt durch die Zurschaustellung der eigenen Unvollkommenheit, einen Effekt, welcher unserer Gesellschaft ein wenig mehr die Augen öffnen solle. Seiner Ansicht nach wäre der Weg der sogenannten Selbstentblößung, der vorsätzliche Versuch, Dinge zu realisieren, welche einem selbst große Angst bereiten und gewissermaßen auf persönlicher Ebene am meisten „wehtun“, eine Möglichkeit, durch welche man ein zwischenmenschliches Gefühl der Gleichwertigkeit erreichen könne. Man bekennt sich zur eigenen Unvollkommenheit und hegt demnach kein Interesse mehr, seinem Gegenüber jegliche Form von Überlegenheit spüren zu lassen, man betrachtet den anderen Menschen somit als gleichwertig und lässt jede Form des voreingenommenen Denkens fallen. Davids Gedanken sind an diejenigen gerichtet, welche sich von ihnen angesprochen fühlen. Niemand soll im populistischen Sinne zum Mitmachen „angestiftet“ werden, jedoch würde er es gutheißen, wenn all jene, welche seiner Meinung sind und ebenfalls denken, dass Zivilcourage in unseren Breiten bedauerlicherweise oft ein Fremdkörper innerhalb der anzustrebenden Begrifflichkeiten ist, ihren eigenen Beitrag leisten würden, wie auch immer dieser denn aussehen möge. Dieser Beitrag sei jedem selbst überlassen und könne von der persönlichen Selbstreflexion bis hin zur vollkommenen Selbstentblößung führen.



 

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